The Chaos Chasers MC: Liam

Originaltitel: Liam (The Chaos Chasers MC Book 4)
Erschienen: 07/2023
Serie: The Chaos Chasers MC
Teil der Serie: 4

Genre: Contemporary Romance, Motorcycle Club Romance, Romantic Thrill

Location: USA, Texas


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-606-5
ebook: 978-3-86495-607-2

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

Erhältlich bei u.a.:

und allen gängigen Onlinehändlern und im Buchhandel

The Chaos Chasers MC: Liam


Inhaltsangabe

Liam

Rote Haare, Haut wie Porzellan, kilometerlange Beine... Erin ist der Inbegriff von sexy. Das Beste an ihr? Sie hat keine Ahnung, wie schön sie ist. Und sie ist auch so viel mehr als nur schön. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass etwas in meinem Leben fehlt, bis ich einen ganzen Nachmittag mit diesem netten, süßen Mädchen verbrachte, dessen Wangen sich jedes Mal vor Schüchternheit röten, wenn ich sie anlächle.

Jetzt kann ich an nichts anderes mehr denken als an sie. Sie hat ein nie gekanntes Bedürfnis in mir geweckt, und nach ein paar gemeinsamen Wochenenden will ich sie bitten, Twican als ihre neue Heimat zu wählen. Besonders nachdem ihr Leben bedroht wurde. Ich will sie in meiner Nähe haben, und es ist an der Zeit, sie das wissen zu lassen.

Aber das Leben macht es einem nicht immer leicht, oder?

Erin

In meinem Leben läuft alles wie geplant. Ich bin jetzt offiziell Krankenschwester, und auch wenn mein jetziger Job nur vorübergehend ist, weiß ich, dass ich irgendwann die Stelle finden werde, die ich mir immer gewünscht habe. Alles wird so laufen, wie es laufen soll - ich kann es fühlen.

Und dann ist da noch Liam. Er ist stark, wild, tätowiert, muskulös und Biker. Er ist die Art von Mann, von der ich nie gedacht hätte, dass er mir auch nur einen kurzen Blick schenken würde, und doch sehen wir uns schon seit ein paar Monaten. Wir sind völlig gegensätzlich, und doch macht er mich glücklicher als ich es mir je hätte vorstellen können. In nur wenigen Monaten hat er sich einen Weg in mein Herz gebahnt und sich kleine Stücke davon geschnappt, bis es ihm vollständig gehörte.

Alles in allem war das Leben so gut wie perfekt. Leider braucht das Leben nur einen Moment, um einem das, was es einem gegeben hat, wieder zu entreißen ...

Über die Autorin

Die Autorin C.M. Marin schreibt romantische Motorcycle Club-Liebesromane mit Krimi-Faktor sowie zeitgenössische Liebesromane. Sie ist durch und durch ein Kleinstadtmädchen. Ruhe und Natur sind alles, was sie wirklich braucht … solange dort auch eine Kiste voller Bücher sowie eine große Auswahl...

Weitere Teile der The Chaos Chasers MC Serie

Leseprobe

Erin

„Da bist du ja.“
Als ob mein Magen während der letzten Stunden nicht schon genug gelitten hätte, dreht er sich beim Klang der tiefen Stimme erneut um. Als ich die Stimme vor Monaten zum ersten Mal gehört habe, hat sie das gleiche Gefühl in mir ausgelöst; automatisch beginne ich, an den Ärmeln meines Kapuzenpullis herumzufummeln. Ich wünschte, ich könnte diese nervöse Angewohnheit ablegen, aber nach jahrelangem Bemühen habe ich das vor geraumer Zeit aufgegeben.
„Hey.“ Ich werfe ihm ein Lächeln zu, das sich merkwürdig anfühlt.
Liam lehnt lässig an der Wand zu meiner Linken, die Hände in die Taschen...

...seiner ausgewaschenen Jeans gesteckt. Er sieht bei Weitem nicht so nervös aus, wie ich mich fühle. Er sieht durch und durch entspannt aus, als ob er sich um nichts in der Welt sorgen würde. Und sexy. Er sieht auch sexy aus. Über einem einfachen dunkelgrauen Oberteil trägt er wie immer seine Lederkutte, die ihn sowohl unglaublich attraktiv als auch ein bisschen gefährlich wirken lässt. Sogar seine sehr kurzen dunkelbraunen Haare, die die gleiche Farbe wie seine Augen haben, sind sexy.
„Na, startklar?“, fragt er und löst sich von der Wand. Als ich nicke, fährt er fort: „Macht es dir etwas aus, wenn ich fahre? Ich werde dich nachher wieder zurückbringen, damit du deinen Wagen holen kannst. Ich bin mit dem SUV gekommen, weil du ja das Bild transportieren musst. Und ich brauche Platz für was auch immer du für mich finden wirst.“
Ich erwidere sein Grinsen mit einem zaghaften Lächeln, obwohl das meine Nervosität weiter schürt. Mit seinem Grinsen ist es dasselbe wie mit seinem Bad-Boy-Outfit: Es ist verführerisch und gefährlich zugleich. Ich versuche mir nicht einzureden, dass Liams Lächeln etwas bedeuten könnte. Dennoch hofft ein winziger Teil von mir, dass sich dieses jungenhafte und zugleich männliche Lächeln nicht nur aus schlichter Höflichkeit auf seinen Lippen abzeichnet. Ehrlich gesagt habe ich seine Anziehungskraft bereits in dem Moment bemerkt, als unsere Blicke sich zum ersten Mal getroffen haben. Mir ist zwar bewusst, dass er keine versteckten Absichten verfolgt und mich garantiert nicht verführen will, aber ich frage mich schon, wie es sich anfühlen würde, wenn er diese Art von Interesse an mir hätte. Doch das macht meine Nervosität nur noch schlimmer. So sehr, dass mir gleich der kalte Schweiß ausbricht, also verdränge ich diesen Gedanken schnell.
Ich gebe mein Bestes, sein Lächeln zu erwidern, und antworte: „Okay. Ich werde nur schnell meinen Kittel im Auto lassen, wenn das für dich in Ordnung geht.“
„Klar, ich begleite dich“, sagt er. Ich atme diskret ein, während ich vor ihm den Parkplatz durchquere.
Sobald ich meine Stofftasche im Auto verstaut habe, passe ich meine Schritte an Liams Tempo an, bis wir den SUV erreichen. Es ist derselbe Wagen, mit dem er oder andere Mitglieder seines Clubs manchmal Alex abholen.
„Wie war die Arbeit heute?“, fragt er, sobald wir im Wagen Platz genommen haben.
Während er den Parkplatz verlässt und sich vom Krankenhaus entfernt, antworte ich: „Gut. Ereignislos und unkompliziert. An den Wochenenden kann es manchmal ganz schön chaotisch zugehen, vor allem in den frühen Morgenstunden.“
„Sogar in der Gastroenterologie?“
„Nein, das nicht. Aber als Praktikantin werde ich manchmal in andere Abteilungen wie die Notaufnahme geschickt, wenn dort unerwartet viel los ist“, erkläre ich.
„Das ergibt Sinn“, gibt er zu. „Alex hat mir gesagt, dass du nicht mehr lange in der Stadt sein wirst“, sagt er dann.
Der plötzliche Themenwechsel überrascht mich so sehr wie die Tatsache, dass ich in einem ihrer Gespräche Erwähnung gefunden habe. Das trägt nicht gerade dazu bei, meine andauernde Unruhe zu besänftigen, weil ich plötzlich das Bedürfnis verspüre, alles bis ins kleinste Detail zu analysieren, und mich frage, warum sie wohl über mich gesprochen haben. Wenigstens ist sein Blick auf die Straße vor uns gerichtet, während wir uns unterhalten. Was für eine Erleichterung. Solange er mich nicht mit seinen dunkelbraunen Augen anschaut, schaffe ich es, die Tatsache zu verdrängen, dass ich mit diesem heißen Mann allein bin.
„Genau, mir bleiben noch drei Wochen. Dann werde ich bis Ende des Semesters zurück nach Phoenix fahren.“
„Gefällt es dir dort? In Phoenix?“
„Es ist okay. Ich meine, die Uni ist gut und ich teile mir eine Wohnung mit zwei Freunden. Keiner von uns geht oft auf Partys, weil wir uns alle sehr auf unser Studium konzentrieren, das passt also ganz gut“, erzähle ich ihm.
Ich würde Phoenix nicht gerade mein Zuhause nennen, aber ich fühle mich dort wohl. Es war mir von Anfang an egal, in welcher Stadt ich studiere. Das Studium an sich war immer das Wichtigste für mich. An erster Stelle stand für mich immer, einen Abschluss zu bekommen und finanziell unabhängig zu werden. Und in wenigen Monaten wird all das endlich wahr werden. Also angenommen, ich finde gleich einen Job. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, endlich ganz offiziell Krankenpflegerin zu sein.
„Wirst du nach deinem Abschluss dortbleiben?“, fragt Liam mich als Nächstes.
„Ich habe keine Ahnung. Das kommt ganz darauf an, wo ich Arbeit finde. Ich werde mich zuerst auf Stellen an Krankenhäusern in Texas und Arizona bewerben. Hoffentlich bekomme ich Zusagen.“
Es hat mich noch nie gereizt, auf die andere Seite des Landes zu ziehen. Mir graut zwar davor, wieder in die Nähe meines Heimatorts zu ziehen und meine Mutter im Nacken sitzen zu haben, die unverhohlen über mein Singledasein urteilt, aber ich will meine Eltern trotzdem öfter als ein- oder zweimal im Jahr sehen.
„Ein Freund?“, überrumpelt er mich mit der nächsten Frage. Er ändert so abrupt das Thema, dass ich einen Moment brauche, um mich darauf einzustellen. Noch bevor ich antworten kann, und als ob ich seine Frage nicht verstanden hätte, fügt er hinzu: „Hast du einen Freund?“
„Nein, habe ich nicht“, antworte ich. Das komische Gekicher, das mir entfährt, verrät, wie unwohl ich mich bei diesem Thema fühle. Es ist nicht nötig, mein Liebesleben mit dem von Liam zu vergleichen, um zu wissen, dass ein Mann wie er viel erfahrener ist als ich. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du viele Fragen stellst?“
„Was heißt denn da viele? Drei sind doch nicht viele“, antwortet er. Er klingt gekränkt, aber das Grinsen, das er mir zuwirft, zeigt mir, dass das nur gespielt ist. „Eine Freundin vielleicht?“ Absichtlich fügt er noch eine vierte Frage hinzu.
Lächelnd schüttle ich den Kopf, wobei meine Geste eher vorgetäuschter Unwille als eine Antwort auf seine Frage ist. Obwohl das auf das Gleiche hinausläuft.
„Nein, ich habe auch keine Freundin.“
Er nickt. „Ich will nur sichergehen, dass ich in deiner Nähe sicher bin.“
In seiner Stimme schwingt ein Lächeln mit, aber ich bin mir unsicher, ob er scherzt oder ob er wirklich wissen wollte, ob ich einen Freund habe oder nicht. Aber warum sollte er das wissen wollen? Ich sollte etwas entgegnen, aber mein Kopf ist mit einem Mal wie leer gefegt. Ich frage mich, ob er vielleicht einen anderen Grund hat, mit mir ins Einkaufszentrum zu gehen, als ein Geschenk für Camryn zu suchen. Er kann unmöglich an mir interessiert sein.
Oder vielleicht doch?
Jetzt bin ich schon wieder so furchtbar nervös. Das wird ein langer Nachmittag.

Liam

Erin ist schon wieder nervös. Mit meiner Frage nach einem Freund bin ich wohl ein bisschen zu weit gegangen. Ich hätte wissen sollen, dass ich nicht so direkt sein darf, stattdessen habe ich nur an mich gedacht. Ich musste einfach wissen, ob jemand in Phoenix auf sie wartet. Unbedingt. Natürlich hätte ich Alex fragen können, aber ich war mir sicher, dass sie nicht gut darauf reagiert hätte. Denn als ich heute Mittag das Krankenhaus verlassen habe, hat sie mir umgehend eine Nachricht geschickt und klargestellt, dass Erin ihre Freundin und nicht eine meiner Eroberungen ist.
Als wir uns dem überfüllten Parkplatz vor dem Einkaufszentrum nähern, wechsle ich das Thema. „Hast du immer noch vor, das Bild zu kaufen, das du vorhin erwähnt hast?“
Es gibt keinen Grund, weshalb sie ihre Meinung während der letzten Minuten geändert haben sollte, aber mir fällt nichts anderes ein.
„Ja“, bestätigt sie. Ich bin erleichtert, dass sie nicht mehr so angespannt klingt, als sie fortfährt. „Und mir ist auch etwas eingefallen, was du ihr schenken könntest. Ich erinnere mich, in einem der Läden eine hübsche Laterne aus Schmiedeeisen gesehen zu haben. Die würde perfekt zu der Einrichtung ihres Wohnzimmers passen. Sie schien mir von guter Qualität zu sein und sie hatte innen einen Kerzenhalter“, erklärt sie ausführlich, während ich einparke.
„Eine Laterne?“, wiederhole ich und stelle den Motor ab. „Ich glaube, ich bin zu langsam, um mit den neusten Dekotrends auf dem Laufenden zu sein“, gebe ich zu und steige aus.
„Die sind voll im Trend, versprochen. Tauchen zurzeit in allen Einrichtungszeitschriften auf.“
„Ich glaube dir schon“, versichere ich ihr, als mir klar wird, dass sie meine Reaktion als Zweifel an ihrem Vorschlag aufgefasst haben muss. „Und ich bin sehr froh, dass ich das nicht alleine machen muss. Du kannst darauf wetten, dass es mir nie in den Sinn gekommen wäre, eine Laterne zu kaufen, selbst, wenn ich Dutzende in den Läden gesehen hätte“, gebe ich zu. „Ich bin nur selten zu Hause und die Einrichtung ist noch genauso wie vor dem Tod meines Vaters. Das Haus meiner Kindheit“, erkläre ich. „Und mein Vater ist vor zwölf Jahren gestorben, ich bezweifle also, dass davon noch etwas in Zeitschriften erwähnt wird.“
„Ich bin mir sicher, dass Alex liebend gerne beim Umdekorieren helfen würde“, schlägt sie vor, während wir auf den Eingang zusteuern.
„Ja, das würde sie, aber ich weiß nicht …“ Ich schüttle den Kopf. „Ich bin meistens im Club und ich denke schon länger darüber nach, das Haus zu verkaufen. Alex und ich hatten eine tolle Kindheit dort, aber ohne unsere Eltern ist das Haus nicht mehr als ein paar Wände und Erinnerungen. Ich kann verstehen, dass Alex sich ihre eigenen vier Wände gesucht hat, als sie wieder hergezogen ist. Mein Vater und ich standen uns sehr nahe, vor allem nach dem Tod meiner Mutter. Er war mein Held.“ Ich lächle. „Ich tue mich einfach schwer damit, den Sprung zu wagen und das Haus zu verkaufen.“
Meine Mutter ist gestorben, als ich sechs Jahre alt war, und mein Vater, als ich achtzehn war. Ich habe das Haus seitdem so belassen, wie es war. Aber wenn ich es nicht zu meinen eigenen vier Wänden mache, indem ich es von Grund auf renoviere, wird es wohl das Beste sein, es einfach zu verkaufen und einen Neustart zu wagen.
Sie nickt nachdenklich. „Glücklicherweise habe ich nie jemanden verloren, aber ich vermute, es bringt sie auch nicht zurück, wenn man an materiellen Dingen festhält. Und wenn man diese Dinge loslässt, verliert man damit ja nicht gleich die ganzen Erinnerungen. Ich kann mir vorstellen, wie schwer diese Entscheidung ist“, sagt sie und in ihrer Stimme schwingt Mitleid mit.
„So ist das Leben. Es ist nie einfach. Aber konzentrieren wir uns auf das, wofür wir hergekommen sind, ja? Geburtstagsgeschenke und Abendessen.“ Als wir das Einkaufszentrum betreten, lenke ich das Gespräch wieder auf ein fröhlicheres Thema.
Es ist fast unmöglich, hier drinnen geradeaus zu laufen, aber das ist an einem Samstagnachmittag wohl zu erwarten. Wobei ich sehr selten hierherkomme, das ist also nur eine logische Vermutung. Alle paar Schritte sind wir gezwungen, uns durch die Menschenmenge zu schlängeln, die uns umgibt. Das ist verdammt nervig. Das einzig Gute daran ist, dass ich so den Abstand zwischen mir und Erin verringern und gelegentlich ihren Arm berühren kann, unter dem Vorwand, sie sonst in der Menge zu verlieren.
Sie zuckt bei der leichten Berührung zusammen, doch ihr Körper entspannt sich beinahe sofort wieder. Ihre unmerkliche Reaktion erinnert mich jedoch daran, dass sie ganz und gar nicht wie die Eroberungen ist, von der meine Schwester in ihrer Nachricht gesprochen hat. Erin ist schüchtern, und ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden mit so einem sanftmütigen Charakter attraktiv finden könnte. Bis sie vor drei Monaten Alex’ Krankenzimmer betreten hat. Der schüchterne und doch strahlende Ausdruck ihrer smaragdgrünen Augen und ihre zappeligen Gewohnheiten, wenn sie nervös ist, haben mich Tag für Tag mehr angezogen. Ihr ruhiges Wesen hat sich als ebenso attraktiv erwiesen wie das strahlende Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht abgezeichnet hat, wenn sie ihre Nervosität einmal abgelegt hat. Auch wenn das nur selten passiert ist, während die Jungs und ich uns in Alex’ Krankenzimmer gedrängt haben. Dabei hatte ich damals noch gar nicht gesehen, wie ihr die langen feuerroten Haare offen auf die Schultern fallen. Ich wusste, dass sie mir mit offenen Haaren gefallen würde; ich wusste nur nicht, wie sehr. Sie sieht damit noch attraktiver aus.
„Hier ist der Laden mit den Laternen.“ Sie zeigt auf ein Schaufenster und bleibt stehen. „Wir können uns ein bisschen umschauen, ob wir noch etwas anderes finden. Am besten kaufen wir das Bild erst zum Schluss, es ist ziemlich groß.“
„Klingt gut. Ich folge dir.“
Glücklicherweise ist es im Einrichtungsladen ruhiger als draußen. Sie führt mich durch Gänge, in denen überall kleine Möbelstücke und Deko-Objekte ausgestellt werden, und ich lasse ihr Zeit, sich umzusehen. Denn seien wir mal ehrlich, ich wüsste nicht einmal, wonach ich suche, um ein passendes Geschenk für Camryn zu finden. Ich bin hier überhaupt nicht in meinem Element, und dennoch gibt es keinen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre.
Als sie plötzlich innehält, stoße ich ungewollt gegen ihren Rücken. Ich packe sie an den Schultern, damit sie nicht das Gleichgewicht verliert.
„Hoppla.“ Ich kichere. „Du hättest mich auch vorwarnen können.“
Sie duftet nach Zuckerstange. Schon im Auto hatte ich die Vermutung, dass sie danach riecht, aber ich war mir nicht sicher. Jetzt weiß ich es. Und wenn wir nicht Geschenke einkaufen müssten, würde ich einfach hier stehenbleiben und ihren Duft aufsaugen, bis ich sie wieder zurückfahren muss.
„Sorry“, platzt sie heraus und wirft mir ein verlegenes Lächeln über die Schulter zu. Sie zeigt mit dem Finger auf ein Regal rechts neben sich. „Diese Truhe hatten sie letztes Mal noch nicht. Sie ist wunderschön.“
Ich bezweifle nicht, dass die weiße Holztruhe für jemanden, der sich damit auskennt, wunderschön aussieht. Für mich ist es einfach nur eine Truhe. Doch es wird vermutlich das Beste sein, wenn ich das nicht laut sage. Nicht, dass ich ein Genie bin, was Frauen angeht, aber ich habe gehört, dass es nie eine gute Idee ist, ihre Meinung bezüglich Deko oder Kleidung infrage zu stellen.
„Na dann ist es ja gut, dass ich mit dem SUV und nicht mit meinem Motorrad gekommen bin“, scherze ich. Sie schaut wieder in meine Richtung und dieses Mal ist das Lächeln auf ihren Lippen breiter.
„Keine Sorge, ich werde sie nicht kaufen. Ich lasse mich beim Shoppen gerne inspirieren. Darum blättere ich auch ab und zu durch Zeitschriften. Ich bin auf der Suche nach Ideen für alte Möbelstücke, die ich manchmal restauriere“, erklärt sie und inspiziert weiter jeden Zentimeter der Truhe.
„Du restaurierst Sachen? Wie cool.“
Sie nickt. „Also normalerweise eher kleine Objekte. Ich habe in Phoenix keinen Platz, um größere Möbelstücke aufzubewahren. Aber ich habe schon immer davon geträumt, eine alte Kommode oder so zu restaurieren. Das werde ich dann tun, wenn ich einen festen Job und Wohnsitz habe. Auf einem dieser Flohmärkte, zu denen ich schon immer einmal gehen wollte, finde ich bestimmt eine.“
Sie geht weiter, bleibt aber nur wenige Schritte später vor den besagten Laternen stehen. Obwohl ich mich schwertue, mir eine davon in einem Wohnzimmer oder überhaupt einem Zimmer vorzustellen, scheint Erin sicher, dass Cam begeistert wäre, also werde ich ihr vertrauen.
Letzten Endes nehme ich eine große und eine mittlere Laterne mit, dann gehen wir in ein anderes Geschäft, das Duftkerzen verkauft. Zuerst wählen wir welche, die in Cams Laternen passen, dann sucht Erin noch welche für sich selbst aus und schließlich gehen wir noch in den Laden, in dem das Bild ist. Auch dort lassen wir uns Zeit und schlendern erst ein wenig durch die Gänge.
Ehe wir uns versehen sind mehrere Stunden vergangen und wir laufen zum Wagen, um unsere Einkäufe dort zu verstauen.
„Ich bin echt froh, dass das erledigt ist“, gebe ich zu, während ich die Tür zuschlage und den Wagen abschließe. „Wie wäre es mit einem frühen Abendessen? Wir könnten davor noch etwas trinken“, schlage ich vor.
„Ich habe heute früh zu Mittag gegessen, ein frühes Abendessen klingt also gut“, antwortet sie. „Wohin möchtest du gehen?“
„Wonach ist dir denn?“
„Ich esse eigentlich alles. Ich bin da nicht so wählerisch.“
Ich spüre, dass sie die Entscheidung lieber mir überlässt, und schlage vor: „Wie wäre es mit Italienisch? In der Innenstadt gibt es ein Restaurant, das viele Pasta-Sorten anbietet.“
„Super“, stimmt sie schnell zu. Doch sorgenvolle Schatten überfliegen ihr Gesicht, als sie einen Blick an sich hinunterwirft. „Allerdings bin ich dazu vielleicht etwas zu einfach angezogen.“
„Du siehst wunderschön aus“, antworte ich. Ein Hauch von Rot überzieht ihre porzellangleiche Haut. Das passiert oft, wenn sie verlegen ist. „Außerdem, wenn du zu einfach angezogen bist, dann bin ich das erst recht. Steig ein, damit wir noch einen guten Platz bekommen“, sage ich ihr.
„Wie lange bist du schon Teil des Clubs?“, fragt sie, während wir in Richtung Stadtmitte fahren.
„Seit etwa elf Jahren, wenn man die Zeit mitrechnet, während der ich als Prospect in der Werkstatt gearbeitet habe. Der Club führt mehrere hier im Staat.“
„Was ist ein Prospect?“
Ich werfe ein Lächeln in ihre Richtung und erkläre: „Ich denke, man kann einen Prospect gut mit einem Praktikanten vergleichen. Sie arbeiten für den Club, sind aber noch keine Mitglieder. Es ist wie eine Art Ausbildung. Entweder man besteht oder nicht.“
Sie nickt. „Dann bist du dem Club beigetreten, nachdem dein Vater gestorben ist? Es muss tröstlich gewesen sein, dass so viele Leute für dich da waren“, fährt sie fort, ohne meine Antwort abzuwarten.
Wenn die Leute erfahren, dass ich kurz nach dem Tod meines Vaters bei den Chaos Chasers angefangen habe, denken sie automatisch, dass ich aufgrund der Trauer vom rechten Weg abgekommen bin oder so. Doch das war nicht Erins erster Gedanke. In Gedanken war sie sofort bei meinen Brüdern und der Art, wie sie mir während meiner Trauer Beistand geleistet haben müssen. Sie haben mir und Alex geholfen, darum sind sie heute unsere Familie.
„Ja, das war es. Mein Vater ist an Krebs gestorben, nur wenige Monate nach der Diagnose. Ich war gerade erst volljährig geworden und er stellte sicher, dass ich nach seinem Tod das Sorgerecht für Alex bekommen würde. Er gab sein Bestes, mich auf alles vorzubereiten, aber ich war noch so jung. Ich wusste, dass ein Studium sehr mühselig werden würde, also beschloss ich stattdessen, mir einen Job zu suchen. Ich dachte, ich könnte später immer noch studieren. Ich fand einen Job in der Werkstatt der Chaos Chasers. Isaac, Jayce’ Großvater, kannte meine und Alex’ Geschichte und am Tag darauf fing ich schon an, mit Cody und Connor, Jayce’ Vater, zusammenzuarbeiten. Einen Monat später fragten sie mich, ob ich ein Prospect werden wollte, und ich sagte zu. Zuvor hatte ich mich vergewissert, dass sie in nichts verwickelt waren, das mich in Schwierigkeiten bringen oder dazu führen könnte, dass sie mir Alex wegnehmen. Und hier bin ich“, erkläre ich. Genau als ich meine Geschichte beendet habe, taucht das Restaurant vor uns auf und ich parke am Straßenrand. „Wir sind da.“
Sie steigt aus und ich gehe um den Wagen herum und stoße auf dem Gehweg zu ihr. Sie betrachtet die Fassade des Restaurants und ich nutze die Chance, um sie zu beobachten. Die Haare fallen ihr offen über den Rücken und wehen leicht im Wind, der weiße Kapuzenpulli bedeckt ihren Hintern nur teilweise. Sie hat keine ausgeprägten Kurven, aber sie ist auch nicht mager. Das spielt sowieso keine Rolle. Schon seit geraumer Zeit bin ich neugierig, was sich wohl unter ihren Klamotten verbirgt. Ich sehne mich danach, einen Blick auf jeden Zentimeter ihrer hellen Haut zu werfen. Dabei weiß ich ja, dass Alex recht hat. Erin ist nicht der Typ Frau für einen One-Night-Stand und schon bald wird sie die Stadt verlassen. Es wird das Beste sein, wenn ich mir das aus dem Kopf schlage. Ich werde sie aus der Entfernung genießen, bis sie außer Sichtweite ist, und das war es. Aber in dem Moment, als ich so nah bei ihr stehe und sie mit ihren wunderschönen, mandelförmigen grünen Augen zu mir aufblickt, seufze ich innerlich.
Es wird verdammt schwer werden, die Distanz zu wahren.
Ich setze ein Lächeln auf und führe sie ins Restaurant, indem ich die Hand leicht auf ihren Rücken lege.
Wenig später nimmt eine Kellnerin uns in Empfang. „Ein Tisch für zwei?“, begrüßt sie uns fröhlich.
„Ja, bitte“, antworte ich und sie fordert uns auf, ihr zu folgen.
Sie bietet uns einen Platz in einer etwas abgelegenen Sitzecke an, was perfekt ist.
„Könnten wir etwas zu trinken haben, bevor wir das Essen auswählen?“, frage ich sie.
„Selbstverständlich. Was hätten Sie denn gern?“
„Was möchtest du, meine Hübsche?“, frage ich Erin.
Bei diesem Kosenamen läuft sie erneut rot an. „Könnte ich eine Limonade haben?“, fragt sie die Kellnerin.
„Eine Limonade“, bestätigt diese und wendet sich dann mir zu.
„Und ein Bier, bitte.“
„Gerne. Ich komme sofort wieder.“
Gerade, als sie sich entfernt, wird die Stille von einem Zwitschern unterbrochen und Erins Aufmerksamkeit richtet sich auf ihre Handtasche.
„Sorry“, entschuldigt sie sich, als sie ihr Handy aus der Tasche fischt und einen Blick auf den Bildschirm wirft. „Meine Mom. Ich habe vergessen, ihr zu sagen, dass ich nicht zum Abendessen zu Hause sein werde. Ich gebe ihr nur kurz Bescheid.“
Sie tippt eine knappe Nachricht und steckt ihr Handy wieder zurück in die Tasche.
„Hast du Geschwister?“
Sie schüttelt den Kopf. „Nur ich und meine Eltern. Na ja, meine Großeltern leben auch noch, aber die genießen ihren Ruhestand in Florida, wir sehen uns also nicht so oft.“
„Und wirst du nach deinem Abschluss wieder bei deinen Eltern einziehen? Bevor du einen Job findest, meine ich.“
Da ich die Hoffnung hege, sie in ein paar Monaten wieder in der Gegend zu haben, ruft eine leise Stimme in mir „Sag Ja“, aber diese Worte kommen ihr nicht über die Lippen.
„Das würde ich lieber nicht“, gibt sie zu und ein Zusammenzucken trübt ihren Ausdruck. Als die Kellnerin mit unseren Getränken kommt, schweigt sie einen Moment. Sie dankt ihr und fährt fort: „Ich liebe meine Eltern, wirklich, aber es ist kompliziert mit ihnen. Sie sind gläubige Katholiken und sehr enttäuscht, dass ich ihren Glauben nie geteilt habe. Vor allem meiner Mutter wäre es lieber gewesen, wenn ich genau wie sie direkt nach der Schule geheiratet hätte, anstatt zu studieren. Sie ist schon fast besessen von dem Gedanken. Seit vier Jahren macht sie ständig Andeutungen in diese Richtung, zum Beispiel, dass es leichter ist, einen Mann zu finden, bevor man zu alt dafür wird. Sie nutzt jede Gelegenheit. Sie hat noch nicht kapiert, dass ich gar nicht heiraten will. Das ist alles, was sie für mich will, die Ehe. Und am besten natürlich mit einem Katholiken. Aber das wird nie passieren, nach meinem Praktikum erst recht nicht. Ich bin gerne Krankenpflegerin, das werde ich also keinesfalls aufgeben.“
Sie hat noch nie so viel mit mir gesprochen seit … na ja, seit ich sie kennengelernt habe. Und anscheinend haben wir die Rollen getauscht, denn jetzt bin ich es, dem nichts dazu einfällt. Ich habe mit nichts von dem gerechnet, was sie gerade gesagt hat.
Die Überraschung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie lacht schüchtern. „Was denn?“
„Nichts, Entschuldigung. Bei allem Respekt für deine Eltern, ich wusste gar nicht, dass es diese Art von Glauben heutzutage noch gibt. Ich verstehe ja, dass man an Gott glaubt. Aber von einer jungen Frau zu verlangen, dass sie heiratet, als ob das ihre einzige Möglichkeit im Leben wäre, ist, als würde man die Zeit ein paar Jahrzehnte zurückdrehen.“
„Ich weiß, aber das sehen sie nicht so. Tief in mir weiß ich, dass meine Mutter ruhiger wäre, wenn es einen Mann gäbe, der auf mich aufpasst. Sie kennt das nicht anders. Sie musste sich nie Gedanken um Geld oder Steuern machen; all diese Dinge, um die man sich selbst kümmern muss, wenn man keinen Mann hat, der das übernimmt.“
„Und du willst dich selbst darum kümmern“, sage ich verständnisvoll.
Sie nickt. „Ich denke, meiner Mutter macht es Angst, dass ich so unabhängig bin, aber ich habe mich immer vor dem Gegenteil gefürchtet. Es macht mir Angst, in jeglicher Hinsicht von einem Mann abhängig zu sein, denn was, wenn ich nicht glücklich bin und einfach nur bei ihm bleibe, weil das leichter ist? Oder was, wenn mein Mann mich verlässt und ich keine Ahnung habe, wie ich allein zurechtkomme? Außerdem kann man sich nicht einfach einen Kerl aus einem Haufen alleinstehender Katholiken aussuchen und beschließen, ihn zu heiraten. Ich weiß, dass meine Eltern sich lieben. Sie haben sich während ihrer Schulzeit verliebt und diese Liebe kann man immer noch in ihrem Blick erkennen, auch wenn sie ihre Zuneigung nie in der Öffentlichkeit zeigen. Aber ich habe mich in der Schule eben nicht verliebt und werde jetzt nicht überstürzt eine Beziehung anfangen, nur weil ich alt werde.“ Sie lächelt.
Sie ist zweiundzwanzig, mein Gott.
„Wenn du alt wirst, dann heißt das, dass ich auf bestem Wege bin, ein Fossil zu werden“, spaße ich. Doch ein unangenehmes, schweres Gefühl hat sich in meiner Brust ausgebreitet.
Wenn ihre Eltern eine Liste erstellt haben, was für einen Mann ihre Tochter heiraten sollte, dann stehe ich ganz am Ende. Verdammt, wem will ich etwas vormachen? Mein Name würde nicht einmal auf dieser Liste auftauchen. Ein Biker würde ihnen nie und nimmer in den Sinn kommen. Ich bin der Letzte, den sie mit offenen Armen empfangen würden, und ich weiß nicht, warum mich dieser Gedanke so sehr stört.
„Immerhin bist du ein gut erhaltenes Fossil“, kontert sie. Das reicht, um mich von meinen düsteren Gedanken abzulenken. Insbesondere, als ihr klar wird, dass sie mich gerade indirekt gut aussehend genannt hat, und sie wieder rot anläuft.
„Das fasse ich als Kompliment auf, meine Hübsche“, sage ich und bin stolz, dass ihre Wangen noch röter anlaufen. Dann beschließe ich, sie nicht länger zappeln zu lassen. „Aber deine Eltern lassen dich trotzdem studieren. Hat sie das nicht gestört?“
„Sie waren nicht gerade begeistert, aber ich habe ein Vollstipendium bekommen und ich war volljährig, sie konnten also nichts dagegen tun. Ich habe schnell einen Wochenendjob in einem Café gefunden und bis zum Praktikumsbeginn dort gearbeitet. Anfangs habe ich auch überlegt, einen kleinen Kredit aufzunehmen, um die Ausgaben zu decken, die nicht vom Stipendium übernommen werden. Aber das hat mein Vater abgelehnt und mich schließlich trotz unserer unterschiedlichen Ansichten unterstützt, damit ich keine Schulden habe. Und ich glaube, die Tatsache, dass ich an Thanksgiving meines ersten Semesters angefangen habe, mit jemandem aus der Gemeinde auszugehen, hat ihnen dabei geholfen, Geduld zu haben.“
Das heißt, dass es mindestens einen Ex-Freund gibt.
Der Gedanke an Erin mit jemand anderem versetzt mir einen gnadenlosen Stich ins Herz. Es scheint keinen Unterschied zu machen, dass der Kerl der Vergangenheit angehört. Deshalb weiß ich nicht, warum ich das Gespräch weiterführe, anstatt das Thema zu wechseln.
„Warum ist daraus nichts geworden? Mit dem Freund?“, frage ich und nehme einen Schluck von meinem Bier.
„Matthew und ich … ich habe ihn einfach nicht geliebt. Nach zwei Jahren habe ich mit ihm Schluss gemacht. Im Sommer vor meinem dritten Jahr an der Uni. Wobei ich nicht weiß, ob man von zwei Jahren Beziehung sprechen kann, wenn ich ihn nur in den Ferien gesehen habe.“ Sie zuckt mit den Schultern und weiß anscheinend so wenig wie ich, was man darauf antwortet.
Wenn sie ihn nur in den Ferien gesehen hat, war sie es ihm anscheinend nicht einmal wert, nach Phoenix zu fahren und sie zu besuchen. Damit weiß ich genug über den Kerl.
„Hast du noch Kontakt zu ihm?“
„Nein. Er ist jetzt verheiratet. Ich war anscheinend nicht die Richtige.“ Ihr Kichern fließt langsam durch ihre Lippen und es freut mich, dass der neue Familienstand ihres Ex sie nicht im Geringsten traurig oder eifersüchtig stimmt.
Diese Frau geht mir langsam wirklich unter die Haut. Allerdings bemerkt sie überhaupt nicht, was sie in mir auslöst, und ich weiß nicht, warum, aber genau deshalb will ich sie noch mehr.

Erin

Dieser Abend hinterlässt einen bittersüßen Geschmack. Nachdem ich den ganzen Tag mit den Mädels in einem Spa verbracht habe, sind wir direkt hierher in den Club gekommen. Natürlich war ich ein bisschen aufgeregt. Die Tatsache, dass ich die anderen schon aus der Zeit kannte, in der Alex im Krankenhaus lag, hat nicht geholfen. Hierher zu kommen, war etwas anderes, denn eine neue Umgebung stresst mich immer. Das hier ist ihr Zuhause und ich war besorgt, mich unter ihnen fehl am Platz zu fühlen. Doch keiner von ihnen hat mir dieses Gefühl gegeben. Sie haben mich nicht nur mit offenen Armen willkommen geheißen, ich habe es sogar genossen, hier zu sein und mit ihnen Cams Geburtstag zu feiern. Die enge Bindung zwischen ihnen ist unglaublich. Erst vor wenigen Minuten habe ich aus der Entfernung zugesehen, wie Nate Jayce die Präsidentenkutte überreicht hat. Die Emotion, die allen ins Gesicht geschrieben stand, hat tief in mir ein Gefühl der Sehnsucht ausgelöst. Alex hat mir vor Monaten erzählt, dass sie wie eine Familie sind, obwohl sie nicht miteinander verwandt sind, doch es ist etwas völlig anderes, das aus nächster Nähe mitzuerleben. Und der Abend hinterlässt deshalb einen bittersüßen Geschmack, weil es schön ist, hier zu sein; gleichzeitig wüsste ich gerne, wie es sich anfühlt, zu haben, was sie haben.
„Weißt du, wie man spielt?“, fragt Max und zieht mich wieder in den Fernsehraum und aus meinen Gedanken, die den ganzen Tag darum gekreist sind, dass ich in zwei Wochen wieder zehn Stunden von Twican entfernt sein werde.
Melvins kleiner Bruder hat mich gerade aus dem Hauptraum unten entführt. Als er mich mit seinem süßen, siebenjährigen Gesicht flehend angeschaut und gefragt hat, ob ich mit ihm Uno spiele, konnte ich nicht Nein sagen.
„Ehrlich gesagt habe ich schon seit Jahren nicht mehr gespielt, aber ich glaube, ich weiß noch, wie es geht“, versichere ich ihm.
„Ich sage dir, wenn du einen Fehler machst“, verspricht mir der Junge.
„Danke“, antworte ich ihm ernst, während er konzentriert die Karten austeilt, bis wir beide die gleiche Anzahl vor uns liegen haben.
Das Spiel kann beginnen, und während der ersten Züge ist Max so vertieft, dass ich beinahe fürchte, die Furche auf seiner Stirn könnte ihm verfrühte Falten bescheren. Doch nur wenig später entspannt er sich und beginnt, mir von der Schule, seinen Freunden und seiner Lehrerin zu erzählen, und erklärt mir, welche Sportarten er mag und welche er hasst. Und dann redet er wie ein Wasserfall.
„Meine Freundin Sophia will Köchin werden, wenn sie groß ist. Wie ihr Vater“, klärt er mich auf.
„Das klingt ziemlich cool“, antworte ich. „Und du? Was willst du werden, wenn du groß bist?“
„Koch nicht. Ich helfe Lilly gerne mit dem Mittagessen oder dem Abendessen, aber nur manchmal, nicht jeden Tag“, sagt er augenblicklich. „Das ist langweilig.“ Da hat er recht. Ich lächle, während er überlegt. „Keine Ahnung, was ich werden will. Ich weiß nicht, wer mein Dad ist, also weiß ich auch nicht, was er für einen Beruf hat“, fährt er fort und ich verspüre einen Stich Traurigkeit. „Ich dachte, ich könnte vielleicht Arzt werden und anderen Leuten helfen, wenn sie krank oder verletzt sind. Aber als ich meiner Mutter davon erzählt habe, meinte sie nur, dass Geld nicht auf Bäumen wächst und ich schnell mit der Schule fertig werden und mir einen Job suchen soll“, erklärt er sachlich. Gerade war ich traurig, aber jetzt spüre ich etwas anderes. Als die Überraschung nachlässt, taucht eine Frage in mir auf. Was für eine Mutter sagt ihrem Kind so etwas? Und wie alt war er, als sie ihm das gesagt hat? Wow. „Aber Melvin sagt, ich kann machen, was ich will, wenn ich groß bin. Man muss sich nur anstrengen“, fügt er schnell hinzu. Es ist so viel Hoffnung in seiner Stimme, dass es mir das Herz bricht, dass jemand, der ihn eigentlich leiten sollte, ihm so einen Mangel an Selbstbewusstsein eingetrichtert hat.
Ihm zu sagen, dass seine Mutter ein echtes Miststück sein muss, wenn sie ihrem Sohn so etwas gesagt hat, ist keine Option. Sie ist immer noch seine Mutter und ich habe keinen blassen Schimmer von Melvins Familie. Also antworte ich stattdessen: „Ich denke, Melvin hat recht. Wenn du dich anstrengst, kannst du alles erreichen, was du dir vornimmst. Und ich denke, dass jeder daran glauben sollte.“
Er wirft mir ein breites Lächeln zu, das mich mit Stolz erfüllt. Ich habe wohl die richtigen Worte gefunden.
Er nickt eifrig und sagt überzeugt: „Ja, ich glaube, ich kann Arzt werden.“
„Na klar kannst du das, kleiner Mann.“
Obwohl ich beim Klang der unerwarteten Stimmen nervös aufschrecke, ist es vor allem bemerkenswert, dass mein ganzer Bauch von Schmetterlingen erfüllt ist, die fröhlich umherflattern. Sie werden noch lebhafter, als ich einen Blick über die Schulter werfe. Liam lehnt äußerst lässig im Türrahmen und ich frage mich, wie lange er dort schon steht.
Er sieht so gut aus. Er hat heute keine Kutte an und ich kann den Anblick seiner Muskeln genießen, die sich unter dem Stoff seines schwarzen Shirts abzeichnen. Er ist nicht massig gebaut, aber er ist groß und von Kopf bis Fuß durchtrainiert.
Max beendet meine wortlose Bewunderung, als er sich sichtlich weniger überrascht an Liam wendet. „Willst du mitspielen? Wir können noch mal von vorne anfangen. Oder, Erin?“
„Klar, kein Problem“, stimme ich ihm zu.
„Ich spiele gerne eine Runde mit euch, aber erst, wenn wir den Kuchen probiert haben, den Lilly gleich anschneidet. Wenn wir davon etwas abhaben wollen, sollten wir uns lieber beeilen, sonst futtert Ben alles weg.“ Er grinst.
Max springt sofort auf. „Können wir eine Pause machen?“, fragt er mich.
„Klar. Kuchenpause“, sage ich lächelnd. „Geh schon mal vor und reserviere mir ein Stück Kuchen.“ Er nickt und rennt aus dem Zimmer. „Er ist ein großartiger Junge“, sage ich, nachdem er verschwunden ist.
Ich hoffe, er kommt heil unten an, ohne die Treppe hinunterzufallen.
Liam kommt langsam auf mich zu. „Du bist genauso großartig“, antwortet er.
Ich weiß nicht, warum er das sagt, aber als er mir wortlos die Hand hinstreckt, um mir beim Aufstehen zu helfen, vergesse ich seine Bemerkung. Seine Hand ist warm und rau. Sie ist groß und stark, aber seine Berührung ist auch sanft. Sie fühlt sich gut an.
„Max und Melvins Mutter ist speziell. Der Junge braucht genau das, was du ihm gerade gesagt hast“, erklärt er.
„Ich habe ihm einfach die Wahrheit gesagt“, sage ich abwesend, da meine ganze Aufmerksamkeit seiner Hand gilt, die meine nicht losgelassen hat, obwohl ich schon stehe. Zärtlich schaut er mich mit seinen dunklen Augen an.
In ihnen spiegelt sich etwas, von dem ich meine, es heute schon einmal gesehen zu haben, nämlich, als er mich im Spa auf meinem Weg vom Hammam zu meiner Gesichtsbehandlung aufgehalten hat. Ich habe seinen Blick jedoch nicht lange genug erwidert, um mir sicher zu sein. Vielleicht hatte ich Angst davor. Seine Nähe im Flur, wo uns jeder hätte überraschen können, hat mich völlig überrumpelt. Vielleicht so sehr, dass ich mir eingeredet habe, mir nur etwas eingebildet zu haben.
Aber jetzt, als er mir in die Augen schaut, ist dieses gewisse Etwas wieder in seinem Blick: Es ist zärtliche Verehrung. Doch als sein Blick zu meinen Lippen wandert, wird die Verehrung durch spürbares Verlangen ersetzt, was sowohl Vorfreude als auch eine gewisse Befürchtung in mir weckt, die sich tief in mich bohrt. Er will mich küssen. Ich kann es sehen und ich kann es spüren. Und ich werde ihn lassen, denn die Anziehungskraft, die dieser Mann auf mich ausübt, übertrifft meine Angst bei Weitem. Ich muss unbedingt wissen, ob seine Lippen so köstlich sind wie der berauschende Duft von Seife und Leder, der ihn umgibt, und so halte ich still und warte, dass er mich küsst.
Mein Puls schießt in die Höhe und ich bin überrascht, dass ich noch nicht als kraftloser Haufen Muskeln auf dem Boden liege. Als Liams Gesicht sich mir nähert und seine Lippen meine mit unerwarteter Vorsicht und Zärtlichkeit berühren, wird alles so real und überwältigend, dass es mir nicht leichtfällt, mich aus meiner Starre zu lösen und auf seinen Kuss zu reagieren. Aber als er langsam mit der Zunge über meine Unterlippe fährt, gewinnt mein Instinkt die Oberhand und lässt mich einladend die Lippen öffnen. Meine Wangen glühen bei dem Gedanken an das, was wir da tun, doch schon bald denke ich nicht mehr daran. Zurück bleibt nur die Wärme, die sich in mir ausbreitet, als Liam den Kuss vertieft und seinen Körper noch näher an mich schiebt. Das Gefühl verwandelt sich schnell in Hitze, die sich so gut anfühlt wie der Kuss selbst.
Ich wusste schon, dass mir bisher kein Mann so attraktiv vorgekommen ist wie Liam, aber ich hätte nie gedacht, dass ein einfacher Kuss und eine leichte Berührung eine derart gewaltige Sehnsucht in mir auslösen könnten. Aber das tun sie, und die Sehnsucht erfüllt jede Zelle meines Körpers und fleht mich an, den Hunger zu stillen, der mich plötzlich überkommen hat. Dann werden auch meine Lippen lebendig und suchen die Erfüllung, nach der sich mein Körper sehnt. Ich könnte schwören, dass ich zum ersten Mal einen Mann küsse. Zugegeben, ich habe bisher nicht viele Männer geküsst, und diejenigen, die ich geküsst habe, waren eher Jungs als Männer. Aber dieser eine Kuss löst in mir mehr Gefühle aus als alle intimen Momente mit meinem Ex zusammen. Er ist glühend. Intensiv. Liams Zunge ist fordernd und mir bleibt nichts, als seinen Kuss zu erwidern und zu hoffen, dass er sich für ihn so gut anfühlt wie für mich.
Als eine deutlich härter werdende Wölbung gegen meinen Unterleib drückt, verspüre ich sowohl das Bedürfnis, aus dem Zimmer zu rennen, als auch, meinen tiefsten Bedürfnissen nachzugeben und meine Hand in Liams Jeans zu schieben. Doch ich würde nie genug Mut aufbringen, um einen Schritt weiterzugehen, und ich habe auch nicht genug Willen, den Kuss zu unterbrechen. Also werde ich mich in diesem glühenden Kuss verlieren, solange Liam mich lässt. Denn in ein paar Wochen werde ich wieder in Phoenix sein und dieser Kuss wird zurückbleiben, als die beste Erinnerung an meine Zeit hier in Twican.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.